Ruanda, das Land der 1.000 Hügel im Osten Afrikas, war vom 16. bis 19. Oktober 2023 als erstes afrikanisches Land Ausrichterin der WALK21, der weltweit größten Konferenz für Fußverkehr. 500 Teilnehmende aus 40 Ländern waren vor Ort, um sich auszutauschen und zu vernetzen. Rund um die Konferenz bot es sich bei dieser Gelegenheit natürlich an, auch privat Ruanda (und auch Uganda) zu erkunden.
Mit 26.000 km² ist Ruanda zweimal so groß wie Tirol und beheimatet knapp über 13.3 Mio. Menschen. In Kigali, der Hauptstadt Ruandas mit aktuell geschätzten 1,7 Mio. Einwohner:innen, sind 52 Prozent der Menschen nicht-motorisiert unterwegs, davon ein Großteil zu Fuß, 17 Prozent nutzen den ÖPNV und 31 Prozent ein eigenes motorisiertes Fahrzeug. Bis 2050 wird erwartet, dass die Bevölkerung in der Hauptstadt um bis zu 400 Prozent wächst, gleichzeitig der Anteil der aktiv zurückgelegten Wege auf knapp 20 Prozent sinkt, während die zurückgelegten Wege mit Auto oder Motorrad auf 60 Prozent ansteigen – mit entsprechenden Auswirkungen auf Luftreinheit, Lärmentwicklung, Stau und den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen (vgl. Global Green Growth Institute (GGGI), 2020).
Um diesem Trend entgegenzuwirken, fördert die Stadt gezielt den Fuß- und Radverkehr und führt immer wieder auch Kampagnen zur Verkehrssicherheit durch. Innerhalb der letzten Jahre wurden nicht nur Fuß- und Radwege angelegt, sondern auch mit dem Imbuga City Walk die erste Autofreie (Fußgänger)Zone Ruandas errichtet und in Biryogo, einer der ältesten und lebendigsten Nachbarschaften der Stadt, eine autofreie Zone mit bunt gestalteten Straßen, Gastronomie, kleinen Geschäften und Platz für Kinder geschaffen. Mit dem Car Free Day, der jeden ersten und dritten Sonntag im Monat stattfindet, soll die Stadt nachhaltiger und gesünder werden. Ein 10 km langer Straßenzug ist hierfür drei Stunden, von 7 bis 10 Uhr morgens, für den motorisierten Verkehr gesperrt. Viele Menschen nutzen die Zeit, um Sport zu machen und spazieren zu gehen.
Wie fühlt es sich an, in Kigali zu Fuß unterwegs zu sein?
Wenn man eher die unbewegte Topografie bei uns gewohnt ist, sind die Hügel in Kigali eine kleine Herausforderung, und die Temperaturen und Luftfeuchtigkeit tun ihr übriges. Aufgrund der geschlossenen Bebauung und der fehlenden Durchlässigkeit sind die Wege zu Fuß lang - eine Abkürzung oder ein Schleichweg war mehr als einmal wünschenswert. Nicht selten haben auch Taxis und Motos angehalten bzgl. Mitfahrgelegenheit.
Dennoch ist Kigali eine grüne und lebendige Stadt, die sich auch zu Fuß gut erkunden lässt. Insbesondere im Bereich der Innenstadt finden sich an den Hauptstraßen gut ausgebaute Geh- und Radwege, in den Wohnstraßen geht es zu Fuß meist auf der Straße weiter. In der Regel sind diese Straßen breit genug und wenig befahren, so dass man von Autos und Motos mit genügend Abstand überholt werden kann.
Doch auch bei den vorhandenen Gehwegen sind Hindernisse wie Laternen, Schachtdeckel, Verengungen bis auf wenige Zentimeter oder ein abruptes Ende eher Standard als die Ausnahme. Oft bestehen die Gehwege aus unterschiedlichen Materialien, die Borde sind unterschiedlich hoch und abgesenkte Stellen sind selten zu finden. Auffallend sind die Betonelemente, die gleichzeitig Abdeckung für Regenwasserkanäle und Gehweg sind. Dabei kommt es immer wieder vor, dass die Betonteile korrodiert oder eingebrochen sind, so dass Gehwege zum Parcours werden. Für Menschen mit körperlichen Einschränkungen sind die Wege zu Fuß eine Herausforderung und stellenweise nicht zu bewältigen.
Ein weiteres Hindernis sind die vielen offenen und tiefen Kanäle an den Straßenrändern und neben Gehwegen. Sie sind notwendig, um die großen Mengen an Regenwasser aufnehmen zu können, die in Ruanda insbesondere in den Regenzeiten fallen. Gleichzeitig sind sie aber auch ein Hindernis, wenn sie vor Zugängen nicht abgedeckt sind.
In den neueren Wohngebieten stehen bereits die meisten Häuser, obwohl die Straßen noch nicht ausgebaut sind. Hier geht es über Schotterstraßen mit Schlaglöchern weiter, die, je nach Steigung, auch ein geländegängiges Fahrzeug vor Herausforderungen stellen und sich zu Fuß ein wenig wie eine innerstädtische Bergwanderung anfühlen.
Alles Zebra, oder was?
Was in Ruanda auffällt, sind die vielen Fußgängerüberwege. In Städten sind sie fast überall an großen Kreuzungen und Hauptstraßen zu finden, aber auch im ländlichen Raum tauchen sie an Stellen auf, an denen man nicht mit ihnen rechnet – mitten auf freier Strecke, ohne Seitenräume für den Fußverkehr davor und danach und gerne auch im Kurvenbereich sind sie einfach da.
Anders als in Europa sind Fußgängerüberwege nicht beschildert und sollten Gehwege vorhanden sein, sind die Borde meist nicht abgesenkt.
Nicht immer halten die Autos und Motos an den Fußgängerüberwegen an, so dass in den Städten häufig Polizist:innen die Einhaltung der Regeln überwachen. Bei unseren Touren durch Kigali fiel uns ein Schulweg über eine der großen Hauptstraßen auf, der zusätzlich noch mit Schwellen vor und hinter dem Zebrastreifen versehen ist, und zu Schulbeginn und Schulschluss auch durch eine:n Polizist:in bewacht wird.
Was auch auffällt sind die vielen „Blitzer“. Die Geschwindigkeitsmessgeräte, meist Blitzersäulen, stehen überall im Land und sorgen dafür, dass die Geschwindigkeiten tatsächlich eingehalten werden. In Uganda dagegen findet man anstatt Blitzern kleine, eng aneinander liegende Schwellen, die motorisierte Fahrzeuge zum Abbremsen zwingen und die einen im Fahrzeug auch bei langsamer Fahrt ordentlich durchschütteln.
Zu Fuß im ländlichen Raum
Für die meisten Menschen im ländlichen Raum ist zu Fuß Gehen die hauptsächliche Fortbewegungsart. Sie ist Voraussetzung dafür, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen zu erreichen und Produkte auf den Märkten ein- oder verkaufen zu können. Traditionell leben die Menschen im ländlichen Raum in Streusiedlungsweise auf Einzelgehöften, die durch ein Netz an Fußwegen und Schotterpisten miteinander verbunden sind. Für den Aufbau von Infrastruktur und die Versorgung mit Wasser und Strom ist diese Siedlungsweise herausfordernd und sorgt gleichzeitig für lange Wege.
Für Menschen mit Einschränkungen bedeutet dies, dass medizinische Einrichtungen, Schulen und Märkte nur schwer oder gar nicht erreichbar sind, mit direkten Auswirkungen auf Versorgung und Gesundheit.
Die Versorgung von Kindern mit Behinderungen ist ein Projekt des Vereins 1000 Hügel e. V., mit dem wir durch Ruanda und Uganda gereist sind. Hier haben wir ein mobiles Team, bestehend aus einem Physiotherapeuten, Orthopädietechniker, Arzt, einer Psychologin und einem Projektmanager begleitet. Zu Fuß ging es auf schmalen unbefestigten Wegen zu den Familien, um vor Ort die Kinder zu behandeln. Das Ziel ist es, eine größtmögliche Mobilität herzustellen und somit den Kindern auch die Teilhabe an Bildung und später dem Erwerbsleben zu ermöglichen.
Eine weitere Herausforderung liegt in der Topografie des Landes. Die Wege zu den Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie den Märkten sind lang, treten in den Regenzeiten die Flüsse über die Ufer, können die Ziele nur mit langen Umwegen erreicht werden. Auf den Touren durch Ruanda sind uns einfache Hängebrücken aufgefallen. Diese werden durch die Organisation Bridges to Prosperity errichtet und ermöglichen den Menschen einfacheren, sicheren und zuverlässigen Zugang zu den Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie zu den Märkten und stärken die Chancengleichheit für Mädchen und Frauen.
Noch ein kleiner Fun-Fact zum Schluss: Treppen sind offensichtlich nicht genormt. Bei vielen Gebäuden, aber auch bei Treppen im öffentlichen Raum, variiert die Höhe der Stufen, und das auch gerne innerhalb ein und derselben Treppe. Das hat zur Folge, dass man sich als Nutzende immer ein bisschen fühlt – und es wahrscheinlich von außen auch so aussieht – als hätte man gerade erst das Treppensteigen erlernt. Genormte Treppenstufen sind daher etwas, was ich nun sehr zu schätzen weiß.
Ein Beitrag von Sandra Reinert, Stadt Bremen
Fotoquellen: S.Reinert, W. Weltring, J. Frönd
Quellen:
Arroyo-Arroyo, F. & Frame, G., 2021. Traffic Management in African cities: The way forward, Washington: SSATP
Global Green Growth Institute (GGGI), 2020. Global Green Growth Institute (GGGI): GGGI Rwanda Co-Organizes African Mobility Month. [Online]
Available at: https://gggi.org/gggi-rwanda-co-organizes-african-mobility-month/
[Zugriff am 06 11 2023]
Ngari, L., 2022. Living in Kigali: Kigali Car Free Day. [Online]
Available at: https://livinginkigali.com/transport-in-kigali/
[Zugriff am 06 11 2023]
Urbanet, 2022. https://www.urbanet.info/car-free-urban-spaces-kigali/. [Online]
Available at: https://www.urbanet.info/car-free-urban-spaces-kigali/
[Zugriff am 06 11 2023]